Tuesday, March 28, 2006

Löwenfutter



Sprechen Sie mal einen Ihnen als repräsentativ erscheinenden Deutschen an und fragen Sie ihn, woran er spontan denkt, wenn er den Terminus „englische Fußballfans“ hört. Vermutlich bekommen Sie ein Stakkato aus Wörtern wie Stiernacken, Fettsteiße, Ganzkörpertätowierungen, Randalebrüder und Komasäufer zu hören. Man hält die Anhänger von der Insel hierzulande für unzivilisiertes Pack, das mit geröteten Köpfen und in Horden ins Land einfällt, die Biervorräte vernichtet, alles kurz und klein schlägt und ohn’ Unterlass antideutsches Liedgut schmettert. „Nur du kannst es verhindern!“, lautete vor nicht allzu langer Zeit der Slogan eines Werbespots, in dem ein angeblich typisch englischer Fußballrowdy abwechselnd der Lächerlichkeit preis gegeben und als besonders abstoßendes Exemplar der Sorte Mensch in Szene gesetzt wurde. So etwas kommt an in Deutschland, vor allem bei denen, die keine Urlaubserlebnisse von Malle oder den Kanaren erzählen können, ohne sich über britische Feriengäste zu echauffieren wie sonst allenfalls noch über Bürgerinnen und Bürger der Niederlande.


Genau diese in deutschen Breitengraden so unbeliebten Fußballfans und ihre Mannschaft werden von Lizas Welt unterstützt, grundsätzlich und bei der anstehenden Weltmeisterschaft im Besonderen. Ein ausführlicher Blick in den (englischsprachigen) WM-Guide für die mitreisenden Anhänger des Three Lions-Teams – herausgegeben von der Football Supporters’ Federation und mit dem wundervollen Titel Free Lions versehen – spürt den Charme auf, den auch die Zielgruppe dieser Broschüre hat, ganz anders, als es das hiesige Klischee will. Auf 148 farbigen Seiten hat die Fanvereinigung allerlei nützliche Informationen für diejenigen zusammengestellt, die es mit dem Weltmeister von 1966 halten und sich die Spiele der englischen Elf im Stadion ansehen möchten. Dazu gehören neben den obligatorischen kurzen Auflistungen von Anlaufstellen und Hinweisen auf Reisemöglichkeiten vor allem detaillierte Porträts der Städte, in denen die englische Auswahl ihre Spiele auf jeden Fall (Vorrunde), eventuell (Erreichen des Achtelfinals) und mit Sicherheit nicht (weil es der Spielplan nicht vorsieht) bestreiten wird.


Und hier sind eine Reihe echter Highlights dabei – historische und gegenwartsbezogene Fakten, die man in einem deutschen Reiseführer, wenn überhaupt, unter ferner liefen finden würde. So heißt es etwa zu Nürnberg gleich zu Beginn:

„Nürnberg ist überraschend pittoresk, trotz der Tatsache, dass es berühmt war für die Rolle, die es im Zweiten Weltkrieg als Nazipropagandazentrale und Ort für Massenaufmärsche in Luitpoldhain spielte. [...] Aufgrund seiner Bedeutung in der Nazibewegung und angesichts seiner Verantwortlichkeit für einen großen Teil der Produktion von Flugzeugen, U-Booten und Waffen wurde es durch Alliiertes Bombardement in Schutt und Asche gelegt (‚reduced to rubble’) und war danach Schauplatz der berühmten Kriegsverbrecherprozesse. [...] Jetzt hat es aber eine merklich weltoffenere Atmosphäre.“
Klare Ansage also, damit man als geschichtsbewusster Zuschauer auch noch einmal nachlesen kann, wo man eigentlich gerade ist. Unvorstellbar, dass sich die Stadt Nürnberg in einem Prospekt als Erstes auf diesen Teil ihrer Geschichte beziehen würde – und genau deshalb hat der WM-Guide schnell die ersten Punkte gesammelt. Weitere kommen beim Kapitel „Köln“ hinzu. Erst wird auf den Dom, den Karneval und den CSD hingewiesen, und dann sind der örtliche Gerstensaft und die gleichnamige Mundart an der Reihe:
„Die Stadt ist bekannt für ihr Bier, ‚Kölsch’ genannt. ‚Kölsch’ ist auch die Bezeichnung des lokalen Dialekts, was zu dem bekannten Witz führte, dass ‚Kölsch’ die einzige Sprache ist, die man trinken kann. Wer sagte da, die Deutschen hätten keinen Sinn für Humor?!“
Doch danach geht es ans Eingemachte respektive auch hier an die jüngere Historie. Die Zahl der Luftangriffe der Royal Air Force wird exakt benannt, wie man auch Bombenabwürfe, Zerstörungsgrad und Opferzahlen beziffert hat. Das Ganze orientiert sich an genauen Fakten, wobei man aus der Art der Aufzählung sowohl eine Kritik als auch eine gewisse Bewunderung lesen kann. Vielleicht wird das aber auch einfach den Lesern überlassen.


Oft kurze, aber knackige Darstellungen der anderen WM-Städte haben noch mehr Höhepunkte zu bieten; Berlin sei, so heißt es etwa, „im Vergleich zu anderen Teilen Deutschlands bemerkenswert entspannt und liberal“, und zu Gelsenkirchen ist zu lesen, dass die Stadt „nur für ihre Zechen wirklich berühmt ist“. Die Verfasser des Büchleins lassen erst gar keine Illusionen aufkommen, informieren wirklich gut und sind gleichzeitig im besten Sinne unterhaltsam. Zum Schluss gibt es auf zwei Seiten einen kleinen Überblick über die nützlichsten deutschen Wörter und Sätze, zu denen neben dem üblichen „Danke“ und „Bitte“ auch „Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht“ („Ref, we know where your car is“) und „Der Schiedsrichter braucht einen Blindenhund“ („The referee needs a guide dog“) gehören.


Insgesamt konterkartieren die Ausführungen in Free Lions auf eine sehr subtile und souveräne Art das Vorwort des ohnehin nicht besonders geschätzten englischen Nationaltrainers Sven Göran Eriksson, der die Fans inständig anfleht, sich doch bitte zu verhalten, wie es sich Zu Gast bei Freunden gehört:

„Diese [sportliche] Rivalität darf den Rahmen anständigen Benehmens nie verlassen. Deutschland wird ein fantastischer Gastgeber sein – und wir müssen respektvolle Botschafter für unser Land und unseren Fußball sein. Insbesondere rufe ich euch dazu auf, während der Weltmeisterschaft jedweden antideutschen Gesang zu vermeiden. Das Lied, das wir wirklich nicht hören wollen, ist das über die ‚10 deutschen Bomber’“.
Warum eigentlich nicht?, wird sich dessen ungeachtet eine Reihe von Supportern denken und das Anliegen zurückweisen, den bekannten ironischen Verhaltenstipp And don’t mention the war! wörtlich zu nehmen; zumindest war das in der Vergangenheit bei ähnlichen Appellen – etwa vor Qualifikationsspielen in Deutschland – immer so. Außerdem hat der Song Ten German Bombers wirklich eine klare antifaschistische Aussage, und da ist es nicht einzusehen, warum er nicht zum Besten gegeben werden darf.


Inzwischen gibt es – nicht zuletzt als Reaktion auf Erikssons Aufruf – das legendäre Lied als ausgesprochen gut gemachtes und sehenswertes Video (inklusive MP3) zweier Berliner Combos, wenn auch der Schluss des Streifens insoweit reichlich ärgerlich ist, als er deutlich über das Ziel hinausschießt: Man verbrennt einfach keine Fahnen, egal welche, schon gar nicht in Deutschland; diese Form politischen Wirkens überlässt man besser per se Nazis und Islamisten. Der Film wäre auch ohne diese Sequenz ausgekommen und hätte dadurch noch an Qualität gewonnen. Trotzdem: Anschauen!


Übersetzung der Passagen aus Free Lions: Liza

Saturday, March 25, 2006

Do it again, Wonti!



Die Älteren unter uns erinnern sich bestimmt noch an die Sendung Bitte melde dich!, die SAT.1 zwischen 1992 und 1998 ausstrahlte und fraglos einen kriminellen Anschlag auf die Sinnesorgane und jede Form guten Geschmacks darstellte. Konzipiert wurde sie seinerzeit vom einfach nicht von der Bildfläche verschwinden wollenden Frank Elstner und – schlimmer noch – moderiert von Jörg Wontorra (Foto), dieser früher omnipräsenten Obernervensäge, die aber auch heute noch bei jeder Übertragung eines Spiels der Champions League mit Nachdruck beweist, wie sie zu ihrem Spitznamen Vonterror gekommen ist. Reality-TV nannte man diese Quälerei, deren Zweck sogar bei Wikipedia nachzulesen ist, staubtrocken, wie es sich für ein Lexikon gehört: „Inhaltlich ging es hauptsächlich darum, Emotionen darzustellen.“ So kann man es auch ausdrücken.


Gäbe es das Ganze noch, wäre Jürgen Klinsmann in den letzten Monaten sicher ein heißer Kandidat gewesen. Mehrere sorgsam ausgesuchte Deutschlandfans hätten im Studio tränenüberströmt ihre Appelle an den Vorturner der nationalen Elitekicker gerichtet, doch bitte wieder nach Hause zu kommen. Da die Sendung aber schon seit acht Jahren nicht mehr läuft und längst durch noch derbere Formate ersetzt worden ist, müsste man heutzutage wohl schwerere Geschütze auffahren. Anzulehnen wäre sich an jene Anhänger der hiesigen Eleven, die dem Fußball-Bundestrainer beim Länderspiel vergangenen Mittwoch gegen die amerikanische Auswahl ein Ultimatum stellten (Foto). Wontorra, das wäre doch was für Sie. Viel besser als die Champions League!




Eine respektable Quote dürfte jedenfalls gewiss sein, zumal die Zielgruppe für eine solche Show recht groß wäre: Von denjenigen, die bei diesem Titel an den Schlager „Ganz oder gar nicht“ des nicht alternden Wolfgang Petry denken müssen, bis zu anderen, die mit der Parole eher die verblichene RAF in Verbindung bringen: Schwein oder Mensch, Teil des Problems oder Teil der Lösung. Kurz: USA oder Deutschland. Man müsste sich nur gut überlegen, welche Maßnahme den jeweiligen Prüfling ereilen soll, wenn er sich falsch entscheidet, und da ist äußerste Vorsicht geboten. Denn was passiert, wenn man gegen die nationale Formierung stinkstiefelt, durfte schon die Titanic bei der Vergabe der Weltmeisterschaft erfahren, obwohl ihre Behauptung, sie habe die WM nach Deutschland geholt, so falsch überhaupt nicht war. Immerhin ist eine schöne CD herausgekommen, auf der neben -zig anderen Highlights auch der wundervolle Satz „Wir diffamarieren, wen wir wollen“ seine Geburt erfuhr.


Dabei hat sich Klinsmann längst entschieden, besser gesagt: Es gab für ihn gar keinen Konflikt. Er lebt in den USA und ist ein Deutscher, der seine Herkunft nie zu leugnen trachtete. Im Grunde spielen sich bizarre Szenen ab: Da darf etwa Franz Beckenbauer im ZDF nonchalant und unwidersprochen dem Kerner stecken, man habe dafür gesorgt, dass keine Transparente ins Stadion kommen, die sich wie auch immer kritisch zum Chefcoach positionieren. Natürlich ist das ein Skandal, weil es selbstverständlich genauso das Recht gibt, zu klatschen, wie man auch pfeifen darf. Darüber hinaus sind solche Maßnahmen ohnehin nur ein Kampf um eine Beseitigung sämtlicher Fraktionen, obwohl auch deren großes Ziel der maximale Erfolg bei der nationalen Pflichtübung Weltmeisterschaft ist und sie lediglich über den Weg dorthin streiten wollen. Es gibt keinen Gegensatz zwischen dem DFB, der Nationalmannschaft und den Medien hier und dem Fußvolk dort. Dass Klinsmann die falschen Feinde hat und man sich daher bei aller Kritik an den autoritären Sanktionen à la Beckenbauer auch nicht groß ärgern muss, die falsche Kritik am Hauptübungsleiter vorenthalten bekommen zu haben, ändert nichts daran.


Genauso wenig drückt das nach dem USA-Spiel entflammte Scharmützel zwischen Klinsmann und der Presse prinzipielle Differenzen aus; dem Bundestrainer wie den Medien geht es ausschließlich darum, möglichst am 9. Juli den Pokalgewinn feiern zu können. Beide Seiten kennen keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche. Die Auseinandersetzungen über den besten und effektivsten Weg, die Reihen mit aller Macht und möglichst lückenlos zu schließen – denn genau darum geht es bei dem Zoff –, sind daher eine reichlich unappetitliche Veranstaltung. Teile der Medien – wie etwa BILD und die Münchner tz – sind dem DFB-Trainer mit unsäglichen Argumenten auf die Pelle gerückt, und der wiederum wehrte sich gleichsam in der rüpelhaften Art eines Kurvenfans, der wahlweise der Polizei oder den Schiedsrichtern zuruft: „Ihr macht unsern Sport kaputt!“ Als Reaktion darauf kriegte Klinsmann heute neuerlich sein Fett weg: „Sonderling“ (Frankfurter Rundschau), „schlechter Verlierer“ (Süddeutsche Zeitung), „Sektierer“ (Berliner Zeitung), „der Selbstgerechte“ (taz).


Man weiß nicht so genau, ob man in diesem Kampf um die größte Ganovenehre irgend jemandes Partei ergreifen soll. Vermutlich ist es besser, sie sich selbst zu überlassen, denn ansprechbar für eine grundlegende Kritik der Nation dürfte niemand von ihnen sein. Die muss man dann halt selbst erledigen, auch wenn einem keiner zuhören mag.

Tuesday, March 21, 2006

Baywatch Blondie & Beach Bum



Wenn man es nicht gerade mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hält – und Gründe, die Distanz zu wahren, gibt es zur Genüge –, ist die ganze Hysterie um die Fußball-Weltmeisterschaft im Allgemeinen und um den Chefübungsleiter Jürgen Klinsmann im Besonderen eine wirklich höchst amüsante Posse. Auch die Politik nimmt sich des Themas an – sei es in Form eines Treffens zwischen Kaiser & Kanzlerin, sei es durch den Vorschlag, Klinsmann vor den Sportausschuss des Deutschen Bundestages zu zitieren –, und in Internetforen und den Leserbriefspalten aller deutschen Zeitungen diskutieren zahllose verhinderte Bundestrainer über den Wohnsitz des Auswahlcoaches, den Zustand des deutschen Fußballs, die Personalpolitik des DFB und das Abschneiden der Mannschaft bei der WM. Richtig kalt lässt das Thema kaum jemanden, was man aber verstehen muss: Wir sind Papst, wir sind Deutschland – und da müssen wir, um das Triple perfekt zu machen, natürlich auch Weltmeister werden.


Doch die diesbezüglichen Chancen stehen derzeit bekanntlich eher schlecht. Und das sorgt spür- und hörbar für Unmut beim Fußvolk. Um einen Eindruck zu bekommen, wie vernehmlich es dort rumort, lohnt sich immer wieder ganz besonders ein Blick auf die Zuschriften an die Tages- und Fachpresse. Exemplarisch seien hier einige Bonmots aus der heutigen Ausgabe des führenden deutschen Fußballmagazins kicker wiedergegeben, die, um es vorsichtig zu formulieren, vermutlich durchaus repräsentativ für die Stimmung der Fangemeinde sind. Ein Holger Wurz aus Eislingen etwa mahnt: „Es wird Zeit, dass wir uns wieder aufs Wesentliche konzentrieren: Die Vorfreude auf ein Fußballfest in Deutschland und dass das ganze Land wie eine Wand hinter unserer Elf steht!“ Und während noch das Stakkato im Hirn hämmert – „Das-gan-ze-Land – wie-ei-ne-Wand!“ –, begrüßt Dirk Wegmann aus Münster die Ausbootung des Dortmunder Spielers Christian Wörns aufs Schärfste: „Stinkstiefel können wir nun wirklich nicht gebrauchen.“ Richtig so! Einheit vor Klarheit! Derweil politisiert Christina Maier, Crailsheim: „Wer seine Vergangenheit verrät, hat von der Zukunft nichts zu erwarten. Alles, was uns früher auszeichnete, wird heute verteufelt.“ Man schluckt ob ihrer Zeilen – klingt doch arg nach Unterm Adolf war doch nicht alles schlecht! –, aber dann liest man noch einmal und stellt fest, dass zwischen „auszeichnete“ und „wird“ noch ein „im Fußball“ steht. Puh.


Im Grunde weiß man jedoch schon lange, wer die ganze Misere eigentlich schuld ist: „Grinsi-Klinsi“ (BILD). Und mal ehrlich: War das nicht von Anfang an klar? Hatte nicht – unter vielen anderen – die Welt sogar schon vor Klinsmanns Berufung zum Vorturner der Nationalkicker im Sommer 2004 vor der „Amerikanisierung des deutschen Fußballs“ gewarnt? Und sich und ihre Leser ein knappes Jahr später – trotz aller Anfangserfolge – immer noch gefragt, ob man in dem Neuen „wirklich den großen Reformator des deutschen Fußballs sehen soll oder doch nur einen ehrgeizigen Anfänger, der Spieler und Öffentlichkeit mit Reizen überflutet und dessen ambitionierte Amerikanisierung mehr Schein als Sein darstellt“? Sehen Sie. Und das hat man jetzt davon: einen Haufen Spezialtrainer, der gestandene Elitekicker Gummitwist spielen lässt, einen Chefcoach, der sich immer dann nach Hause – also in die USA! – verpisst, wenn’s ungemütlich wird, und eine Nationalelf, die vom einen „Desaster“ (kicker) zum nächsten stolpert. Sieger sehen wohl anders aus.


Zu allem Überfluss tritt die DFB-Auswahl am Mittwoch auch noch gegen die Eleven der Vereinigten Staaten von Amerika an, und nicht bloß die Boulevardpresse überschlägt sich fast dabei, sondern auch beispielsweise die Süddeutsche Zeitung: „Man darf davon ausgehen, dass es sich beim anstehenden Länderspiel – paradoxerweise gegen Klinsmanns Wahlheimat USA – um eines der wichtigsten Testspiele seit Erfindung der Nationalhymne handelt. Nach den Zuspitzungen der letzten Wochen ist aus diesem Match in der öffentlichen Wahrnehmung eine Art Klinsmann-Spiel geworden.“ Was an dieser Begegnung in Dortmund paradox sein soll, erschließt sich auch auf den zweiten Blick nicht, aber vielleicht hat ja auch die nackte Angst vor einer erneuten Pleite im Verbund mit einem notorischen Antiamerikanismus dem Redakteur die Zeilen ins Notebook diktiert. Bei so viel Aufregung allenthalben ist es ja auch schwer, noch kühlen Kopf zu bewahren. Daher lohnt sich einmal mehr ein Blick in die nichtdeutsche Presse – und gleich bei der New York Times stößt man zwei Tage vor dem Kick des Fünften der aktuellen FIFA-Rangliste beim Zweiundzwanzigsten auf einen lesenswerten Beitrag, der in dieser Form sicherlich in keinem hiesigen Blatt gedruckt werden könnte, wollte man nicht des Vaterlandsverrats geziehen werden. Gleich zu Beginn konstatiert die Zeitung so nüchtern wie ironisch:

„Auch nachdem Jürgen Klinsmann, früherer Starstürmer und Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, im Juli 2004 Trainer wurde, lebte er die Hälfte des Monats in Südkalifornien mit seiner amerikanischen Ehefrau und zwei kleinen Kindern. Diese transkontinentale Pendelei erweckte drei der deutschen Lieblingsbeschäftigungen wieder – den Fußball, die Vereinigten Staaten und das Wetter.“
Das Wetter? Aber ja doch – Peter Zygowski vom Goethe-Institut in San Francisco klärt via NYT auf:
„Deutschlands Fixierung auf das Wetter, das diesen Winter ziemlich kalt war, dürfte die Unzufriedenheit mit Klinsmann beeinflussen. [...] Sie sind völlig von Sonne und Strand besessen, und wenn sie von Klinsmann in Kalifornien hören, beschwört das Bilder von Urlaub und Entspannung herauf.“
Von einem Faulpelz, einem Beach Bum, nämlich, und jedenfalls nicht von einem harten Arbeiter, der achtundvierzig Stunden am Tag dafür schuftet, mit seinen Jungs am 9. Juli in Berlin den Pokal für die beste Mannschaft der Welt stemmen zu dürfen. Doch solcherlei Ressentiments harmonieren prächtig mit dem virulenten Antiamerikanismus in Deutschland, wo man dem „polyglotten Sonnyboy mit Wohnsitz Kalifornien“ (Zeit) einfach nicht über den Weg traut und es für Drückebergerei hält, wenn Klinsmann seinen Spielern moderne Kommunikationsformen wie E-Mails und Fortbildungshilfsmittel wie PowerPoint näher bringen will – Spielern, die die virtuelle Welt durch die Bank ohnehin zu ihren Hobbys zählen und die mit dem PC sicher nicht schlechter umgehen können als mit ihrer PlayStation oder ihrem Handy.


„Die USA hält man in Deutschland immer noch für einen Emporkömmling in Sachen Fußball. Nach Ansicht einiger Funktionäre, Journalisten und Politiker ist alles, was Klinsmann an New World-Ansätzen in Amerika gelernt hat, für eine Old World-Fußballmacht wie Deutschland nur von geringem Nutzen“, analysiert die New York Times daher auch mit der gebotenen Schärfe im Unterton. Andrei S. Markovits wiederum, Politikwissenschaftler und Soziologe, sieht in einem NYT-Interview die Deutschen gespalten in Klinsmann-Gegner und Klinsmann-Befürworter: „Es ist ein Zusammenstoß zwischen dem Alten und dem Neuen in Deutschland.“ Schon in seinem lesenswerten Buch Amerika, dich hasst sich’s besser (konkret-Texte, Hamburg 2004) brachte Markovits zahlreiche eindrückliche Beispiele für Antiamerikanismus im Fußball, der etwa dadurch zum Ausdruck komme, dass man in Europa erst entsetzt gewesen sei, als den USA die Ausrichtung der WM 1994 zugesagt wurde – schließlich waren die ja gar kein klassisches Fußballland –, um dann, als der Zuschauerandrang bei den Spielen riesengroß war, zu konstatieren: Die können gar keine Ahnung haben, weil sie sich doch eigentlich nicht für Fußball interessieren. Und bezogen auf den Streit um Klinsmann vermutete Markovits in der NYT, vermutlich sehr zu Recht:

„Wenn Deutschland die Weltmeisterschaft am 9. Juli gewinnt, wird Klinsmann erneut eine nationale Ikone sein. Wenn die Sache aber schlecht ausgeht, könnte Klinsmann, wie mir ein Journalist sagte, zur persona non grata in seinem Heimatland werden. Vielleicht könnte er seine Eltern besuchen, aber er würde komplett verteufelt. Ich wäre ernsthaft um seine Sicherheit besorgt, wenn die Deutschen im Viertelfinale verlieren würden.“
„Deutschland befindet sich in einer vertrauten Panik, weil es fürchtet, dass sein Trainer bloß ein 'Baywatch' Blondie ist“, hatte es die New York Times noch auf eine sehr originelle und zielsichere Art auf den Punkt gebracht. Man muss Klinsmann – der viel deutscher ist, als es die meisten in diesem Land glauben –, seiner Truppe und deren Anhängern gewiss nicht alles Gute fürs anstehende Turnier mit auf den Weg geben. Aber man wünscht dem Schwaben irgendwie auch andere Feinde als ambitionierte Amerikahasser.


Übersetzung der Passagen aus der New York Times: Liza, Hattip: Clemens

Friday, March 03, 2006

Abseitsfalle für Mullahs!



Vorab eine, nun ja, Binsenweisheit: Fußball ist fast überall – immer noch – eine Männerdomäne, sowohl was die Aktiven betrifft als auch in Bezug auf das Publikum. Eine der wenigen diesbezüglichen Ausnahmen bilden die USA: Dort ist Frauenfußball nicht nur deutlich populärer als sein männliches Pendant, sondern zudem professioneller, weiter verbreitet und selbstverständlicher als in jedem anderen Land. Zwar steigt allmählich nahezu überall sowohl seine gesellschaftliche Akzeptanz als auch die Zahl der Spielerinnen, aber der Stellenwert des Männerfußballs bleibt bislang größer, übrigens auch bei den zahlreicher gewordenen weiblichen Fans.


Im Iran ist das durchaus nicht anders – und dennoch unterscheiden sich die Möglichkeiten für dort lebende Frauen, aktiv oder passiv an der auch in diesem Land führenden Sportart teilzuhaben, massiv von denen in anderen Teilen der Welt. Es gibt zwar ein iranisches Frauenfußball-Nationalteam, doch dem sind Spiele in der Öffentlichkeit nur jenseits der Landesgrenzen gestattet, und auch da haben die Kickerinnen alle Teile ihres Körpers außer dem Gesicht zu verhüllen, also mit Kopftüchern und langen Hosen anzutreten. Im Iran selbst ist das Kicken nur hinter verschlossenen Türen möglich, das heißt zumeist in Turnhallen.


Gleichwohl möchten auch dort immer mehr Mädchen und Frauen gegen das Leder treten, und darüber hinaus steigt die Zahl derjenigen, die es nicht mehr hinnehmen wollen, vom Stadionbesuch ausgeschlossen zu sein. Nach dem Sturz des Schahs und dem schließlichen Sieg der so genannten islamischen Revolution 1979 hatte das neue Regime ein entsprechendes Verbot erlassen, das für dreißig Jahre Gültigkeit besitzen sollte. Nur in ganz seltenen Fällen machen die Mullahs eine generöse Ausnahme – wenn ihr Opportunismus es gebietet: Als etwa die deutsche Nationalmannschaft im Oktober 2004 zu einem Testspiel in Teheran antrat und im Vorfeld Kritik daran laut wurde, dass ausschließlich Männer Zutritt zu diesem Match erhalten sollten, gestattete das Regime sage und schreibe 200 Frauen den Einlass, die voll vermummt und in einem separaten, abgeschirmten Block die Begegnung gemeinsam mit den übrigen 99.800 – männlichen – Zuschauern ansehen durften. Gelegentlich versuchen Frauen jedoch auf eigene Faust, das Verbot zu umgehen und auf die Tribünen zu kommen – wie im Juni vergangenen Jahres, als 33 von ihnen während eines Spiels das Stadion in der iranischen Hauptstadt stürmten und daraufhin von der Polizei brutal zusammengeknüppelt wurden.


Am vergangenen Mittwoch nun trat die iranische Nationalmannschaft der Männer in Teheran zu einem WM-Vorbereitungsspiel gegen die Auswahl Costa Ricas an – die erste Partie seit langem, nachdem sich infolge der Wahl Ahmadinedjads zum Staatspräsidenten etliche Länder geweigert hatten, gegen die Eleven des Gottesstaates zu spielen. Zur Feier des Tages ließ sich der iranische Diktator vorher – propagandistisch wirksam im Nationaltrikot – beim Kicken mit den Auswahlspielern fotografieren. Im Rahmen des Spiels kam es jedoch auch zu einer Aktion, die – wie könnte es anders sein – in den hiesigen Medien vollständig übergangen wurde: Eine Gruppe junger iranischer Frauen hatte beschlossen, das Match live vor Ort zu verfolgen. Und da sie nicht damit rechnen konnten, dass ihr Anliegen die Zensur der heimischen Presse passieren würde, veröffentlichten sie es einige Tage vor dem Anstoß unter dem Titel We have decided to challenge the law in verschiedenen Blogs. Unter denen, die sich an der Werbung für dieses bewusste und offensive Einfordern selbstverständlicher Rechte beteiligten, waren auch einige iranische Nationalspielerinnen. In dem Aufruf hieß es:

„Es ist Ironie, dass Frauen – die eine anerkannt entscheidende Rolle beim Sieg der Revolution von 1979 gespielt haben, die die Monarchie stürzte und eine Republik erbrachte – zu den ersten Gruppen gehörten, die von der heftig diskriminierenden Politik unterdrückt wurden. Das Verbot für Frauen, an Sportereignissen der Männer teilzunehmen, war eines der ganz frühen. Frauen haben knapp zwei Jahrzehnte dafür benötigt, sich zu verbünden, zu organisieren und offen ihre Rechte einzufordern.“
Dutzende Frauen kauften sich anschließend Eintrittskarten für das Match der iranischen Männer gegen Costa Rica und wollten ins Stadion. Doch die Polizei verweigerte ihnen den Einlass. Daraufhin organisierten sie eine Demonstration vor den Toren der Arena mit dem zynischen Namen Azadi (Freiheit) und präsentierten Spruchbänder, auf denen „Azadi-Stadion: 100.000-nur-für-Männer-Arena“ und „Wir wollen auch unser Nationalteam anfeuern“ stand. Wie Iran Focus berichtet, wurde den meist jugendlichen Demonstrantinnen sofort die Verhaftung angedroht. Kurz darauf griffen die Polizisten die Frauen und Mädchen an, zwangen sie in einen Bus und steckten sie ins Gefängnis.


Einige Tage zuvor war auf der Berlinale ein Film des iranischen Regisseurs Jafar Panahi vorgestellt worden, der zumindest thematisch zu dieser Problematik passt: Offside (Abseits) heißt der Streifen, der die Geschichte iranischer Fußballanhängerinnen erzählt, die vergeblich versuchen, mit allerlei Tricks in das Stadion zu gelangen, wo das iranische Team gerade sein entscheidendes WM-Qualifikationsspiel bestreitet. Offside ist, glaubt man Panahi, eine „patriotische Liebeserklärung“ an sein Land, und doch macht es stutzig, dass das Werk im Iran gedreht werden und die Zensur unbeschadet überstand. „Es gab einige Versuche, den Film zu verhindern, aber ich habe alle Schwierigkeiten überwunden“, beschied der Regisseur entsprechende Fragen knapp. Dass er die staatlichen Hürden genommen hat, könnte unter anderem daran liegen, dass Offside offenbar von einem den dortigen Behörden unbekannten Mitarbeiter Panahis bei der zuständigen Stelle eingereicht wurde, nachdem sein letzter Film im Iran nicht gezeigt werden durfte.


Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Regimekritiker und Exil-Iraner Recht haben, die in dem Streifen weniger eine gelungene Komödie über Frauen sehen, die den Verboten der Mullahs trotzen, sondern vielmehr regimekonforme Propaganda. Der Berliner Filmemacher Kia Kiarostami etwa erklärte: „Im Iran lebende regimekritische Künstler werden politisch verfolgt, landen im Gefängnis oder werden ermordet. Unbehelligt können nur Künstler und Intellektuelle arbeiten, die sich in irgendeiner Weise mit dem Regime arrangieren.“ Arman Nadjm, ein in Deutschland lebender iranischer Regisseur und Dramaturg, stieß ins gleiche Horn: „Die genehmigten Kinoproduktionen werden allesamt mit staatlichen Fördermitteln unterstützt. Finanzielle Hilfe erhalten natürlich nur diejenigen, die den Vorgaben des iranischen Kulturministeriums entsprechen“. Dem Offside-Regisseur Jafar Panahi warfen sie und andere Exil-Iraner daher vor, „insgeheim hinter der Politik der iranischen Führung zu stehen“, und den Berlinale-Verantwortlichen, „unfreiwillig ein faschistisches Regime“ zu unterstützen, „das nach fast drei Jahrzehnten Terror und schweren Menschenrechtsverletzungen im Lande mit atomaren Drohungen und antisemitischer wie antiisraelischer Haltung die Welt zu bedrohen versucht“. Filme wie Offside würden von den Mullahs begrüßt, weil sie dabei hülfen, die politische Isolation des Iran zu durchbrechen: „Es ist eine Riesenwerbung. In der iranischen Presse lautet der Tenor: Zwar meckert der Westen über uns, aber seht her, auf der Berlinale werden unsere Filme gelobt und gefeiert. Wir haben eine große Kultur, die der Westen bewundert“, sagte Kiarostami.


Noch einige Gründe mehr mithin, weiterhin – und verstärkt – den Ausschluss des Iran von der Fußball-Weltmeisterschaft zu fordern, wiewohl das Gelingen dieses Unterfangens zweifellos noch unrealistischer geworden ist als es ohnehin schon war. Der Präsident des Weltfußballverbands FIFA, Sepp Blatter, hat entsprechende Forderungen unlängst erneut kategorisch zurückgewiesen. Die Bilder vor dem Spiel der iranischen Mannschaft gegen Costa Rica kann er nicht gesehen haben.

Buy Danish! Don’t fly Emirates!



Und sie haben doch gespielt! Das Fußballmatch Israel – Dänemark, dessen Austragung fraglich war, fand wie geplant im Ramat Gan-Stadion Tel Aviv statt und endete mit einem 2:0 für die Dänen (die Treffer fielen schon in der 7. und 19. Minute). Es war das letzte Spiel der israelischen Mannschaft unter der Leitung von Coach Avraham Grant, der in Kürze Trainer bei Hapoel Tel Aviv wird. Von weiterer Randale aufgebrachter Propheten-Fans infolge des Kicks ist übrigens nichts bekannt.


Unterdessen hat sich die Fluggesellschaft Emirates entgegen erster Bekundungen über den Sponsorenvertrag zwischen dem F.C. Arsenal und dem israelischen Tourismusministerium mokiert. Wie Ha’aretz berichtet, hofft das Staatsunternehmen „auf einen sofortigen Rückzug“ der Gunners: „Der Werbevertrag ist unglücklich. Wir sind nicht gerade froh darüber“, wird der Pressesprecher der Fluglinie zitiert. „Wir tun unser Bestes, um Arsenal zu überzeugen, dass sie diesen Vertrag auflösen.“ Man darf gespannt sein, was die Klubführung nun zu unternehmen gedenkt.

Thursday, March 02, 2006

Die Grossschnauzen verlieren!









Stricki bemerkt richtig

Bis zur WM noch 100 Tage minus 7 Minuten und schon 2:0 fuer Italien. Wie pflegte doch der Gartennachbar (VKSK - Anlage Oberfeld) seinerzeit zu rufen: “Die Grossschnauzen verlieren!”, Und zwar so laut, dass ganz Kaulsdorf Nord Bescheid wusste. Poldischweini - heult doch!


aus B.Z.

Italien führt Klinsis Truppe gnadenlos vor

Florenz - Hilfe, Klinsi. 99 Tage vor unserer WM wächst die Angst.
Wieder kein Sieg gegen einen Großen. Nein, schlimmer: Italien hat uns vorgeführt. Deklassiert. Gedemütigt. Deutschlands Leistung beim 1:4 einfach nur peinlich. Beschämend. So werdet IHR nicht mal Kreismeister.
Günter Netzer warnt schon vor dem Spiel: "Italien ist für mich ein Geheimfavorit. Sie können nicht nur verteidigen. Sie können mehr." Das bekommt Deutschland gnadenlos zu spüren!

Klinsi setzt auf zwei Viererketten. Mertesacker und Huth sollen die Welt-Offensive der Italiener stoppen. Luca Toni zum Beispiel. Mit 22 Saisontoren hat er die Italiener in der Serie A verzaubert. Ein Stürmer der Kategorie Weltklasse. Joachim Löw: "Huth und Mertesacker sind beide groß. Wir glauben, daß sie Toni ausschalten können. Sie können Fehler machen. Aber dieses Spiel wird sie weiterbringen."
Oder auch nicht. Schon nach 3:42 Minuten gefriert Jürgen Klinsmann das Lächeln. Del Piero zirkelt den Freistoß rein - und schon ist's passiert. Kopfball Cannavaro, Lehmann läßt abklatschen. Gilardino staubt zum 1:0 (4.) ab. Kommt aber noch schlimmer. 6:40 Minuten gespielt: Camoranesi mit Traumpaß auf Gilardino. Huth steht regungslos daneben, hebt hoffend den Arm. Aber nichts Abseits. Ein schlimmer Abwehrfehler. Gilardino legt ab, Luca Toni schiebt ins leere Tor. 0:2! Nach nicht einmal sieben Minuten.
Das macht richtig angst! Wie die Form von Sebastian Deisler. Kein Wunder, daß der bei Bayern auf der Bank sitzt. Fehlpässe am laufenden Band. Ein Totalausfall! Zur gleichen Zeit sitzt in Dortmund ein gewisser Christian Wörns vor dem Fernseher. Er darf sich bestätigt fühlen. Die deutsche Abwehr ist ein Hühnerhaufen. Eine Lachnummer! Was Klinsi ihm auch vorwirft: Besser als die Pannen-Verteidiger ist er allemal. Wird nach 39 Minuten noch deutlicher. Die Chaos-Abwehr irrt durch den Strafraum, Camoranesi auf De Rossi, 3:0. Italiens Star-Keeper Buffon ballt die Fäuste, kann sich sonst aber um seine Frisur kümmern. Deutschland einfach nur schlecht. Katastrophal. Hier spielen nicht zwei Großmächte gegeneinander. Italien führt Klinsis Pannen-Truppe vor. Die Leistung ist eine Ohrfeige für jeden deutschen Fußball-Fan! Nicht einmal unser Big Ballack zeigt die Form der letzten Wochen. Unser Superstar geht mit dem Team unter. Metzelder kommt für Mertesacker, das Chaos bleibt. Gilardino auf Camoranesi, Metze zu weit weg. Del Piero nickt zum 4:0 (57.) ein. Auf der Tribüne trauert der neue DFB-Sportdirektor Matthias Sammer. Viel Arbeit kommt auf ihn zu. Ob er das bei seinem Job-Kampf so geahnt hat?
Das 1:4 (82.) von Robert Huth nach Deisler-Ecke ganz nett. Nicht mehr.

Netzer vernichtend: "Es hat alles gefehlt. Der Biß. Der Wille. Die Ausstrahlung. Diese Mannschaft war leblos." Hilfe, Klinsi. Es bleiben nur noch 99 Tage. Und SO werdet IHR nicht mal Kreismeister!

von schlacht - und fußballfeldern. zur deutschnationalen mobilisierung 2006


wenn es um fußball geht, kennen die fans vom vorsitzenden des bdi über den bundeskanzler bis hin zur alleinerziehenden studentin und der ungesicherten beschäftigten keine parteien mehr: „doiiiitschlaaaand!!!" – so lautet die braune parole, die aus rot angelaufenen köpfen und bierträufenden mäulern gebrüllt wird.

schon daran zeigt sich, dass an dem beschwichtigenden argument, hier gehe es doch nur um harmlosen – ideologisch unverdächtigen – sport, wenig dran ist. wäre es so, würde sich die wahl des favorisierten vereins, der lieblingsmannschaft nach sport-immanenten oder verhältnismäßig rationalen kriterien wie dem aussehen der hüpfenden heten richten. aber solche erwägungen kommen höchstens für den zweiten platz in betracht. der territoriale verband, die zwangs-heimat entscheidet schon vorab, für wen die herzen schlagen. besonders anschaulich zeigt sich die absurdität jener irrationalen bande daran, dass die erbittertsten feinde bayern münchens plötzlich deren tore bejubeln, wenn es gegen eine ausländische „mann"schaft geht.

genau darin besteht die ideologische funktion des „volkssports": über alle politischen differenzen, kulturellen millieus und klassengrenzen hinweg jede – und vor allem: jeden – zur deutschen fangemeinschaft, zum heimatverband zusammen-zuschließen. das zusammenschweißen des männerbündischen fanblocks vollzieht sich vor allem hierzulande über den ausschluss des anderen, der „fremden". rassistische sprechgesänge, das bewerfen schwarzer spieler mit bananen oder gar pogromartige ausschreitungen in der „dritten halbzeit" stehen dabei in bester deutscher tradition.

an der geschichte des dfb lässt sich ablesen, dass der massensport fußball für die deutschen ein wichtiges ausdrucksmittel völkischen bewußtseins war und ist. dieser wehrsportverband triefte nicht bloß vor national-sozialistischem hass, er beteiligte sich darüberhinaus auch an dessen wegbereitung. bereits am 19. april 1933 ließ der dfb über sein damaliges verbandsorgan „kicker" verlauten, dass „juden und marxisten in führenden stellungen der vereine und verbände nicht mehr tragbar seien". damit wurden tatsächlich keine vorgaben des nationalsozialistischen systems erfüllt, wie „man" heute gerne glaubhaft machen möchte, sondern zeichen gesetzt. die rechtliche sanktionierung dessen, was der dfb bereits 1933 forderte, folgte erst 2 jahre später im rahmen der „nürnberger rassengesetze".

aber auch nach ’45 erfreute sich der im ns eingeübte arische doppelpass von völkischer ideologie und sport noch lange zeit großer beliebtheit: es kann daher nicht verwundern, dass es innerhalb des dfb kein interesse an einer aufarbeitung der eigenen geschichte gab. als 1948 die alliierten anlässlich einer sport-tagung die frage stellten, warum die weimarer sportorganisationen so wenig widerstand gegen den nazismus bewiesen hätten bezeichnete der ehemalige nsdap-funktionär und dfb vorsitzende bauwenz diese anfrage als unverschämte aufdringlichkeit und wies die frage zurück. diese einstellung teilte übrigens "der wiedergegründete dfb insgesamt".

so blieb die personelle und ideologische kontinuität des dfb gewahrt. wer sich an der spitze des verbandes befand, wird gut durch ein ereignis aus dem jahre 1954 verdeutlicht: nachdem die deutsche mannschaft bei der weltmeisterschaft von 1954 den weltmeistertitel gewonnen hatte, verlor bauwenz bei einer feier im münchner hofbräuhaus völlig die kontrolle über sich selbst und fiel in sein gewohntes vokabular zurück. er behauptete, der germanische kriegsgott wotan habe den deutschen spielern beigestanden, die spieler hätten die vom stadiondach verschwundene deutsche fahne im herzen getragen, und als er schließlich auch noch das führerprinzip als leitmotiv der mannschaft ausmachte, wurde es selbst dem bayrischen rundfunk zuviel und er brach die liveübertragung ab.

scheinbar politisch unverdächtig war die deutsche fußballnationalmannschaft plötzlich willkommene projektionsfläche, auf der alle kollektiven ressentiments und narzißtischen kränkungen ausgelebt werden konnten. eine art nachgeholter sieg auf dem fußballfeld, der die deutschen „schlachtenbummler" zielsicher die verbotene erste strophe des deutschlandlieds singen ließ.

fußballmannschaften hierzulande konnten noch nie etwas anfangen mit „spielwitz", „ballzauberei" usw. das waren immer „mentalitäten" der südlichen länder und entsprechend war deren spiel: individualistisch, verspielt, eben undeutsch und selbstverständlich ineffektiv. diese naturalisierung von spielsystemen, deren kern immer rassistisch war (man denke an die „afrikanische gazellenhaftigkeit" schwarzer spieler in der bundesliga), ist ebenso manifest wie die bekannten klischees über „nationalcharaktere". „grob gesagt, gibt diese mannschaft schon etwas wieder vom nationalcharakter unseres volkes. sie hat gekämpft, nie aufgegeben und war immer mit vollem einsatz dabei." (helmut kohl, 1986 in mexiko) in übereinstimmung mit diesem nationalcharakter wird sich auch der dfb sprecher wolfgang niersbach gefühlt haben, als er bei der wm 1994 auf eine antideutsche artikelserie in der washington post mit den folgenden worten reagierte: "80 prozent der amerikanischen presse ist in jüdischer hand".

fußballweltmeisterschaften sind immer ein höhepunkt nationalistischer mobilmachung. besonders deutlich wurde dies im jahre 1990 als die deutsche „wiedervereinigung" durch einen sieg der deutschen auf dem rasen gekrönt wurde. die deutschen ergingen sich im größten nationalen freudentaumel seit dem überfall auf die sowjetunion und das land erstickte förmlich in einem meer an bis dahin immer nur zögerlich verwendeten schwarz-rot-goldenen fahnen. noch der kurze zeit später stattfindende angriff auf das asylbewerberinnenheim in rostock-lichtenhagen stand ganz im zeichen dieses totalen sieges: er erfuhr seine weltweite mediale re- präsentation bezeichnenderweise durch einen denhitlergruß entbietenden mann, der eine vollgepisste trainingshose und das trikot der deutschen nationalelf trug.


auch wenn bei der wm 2002 das schlimmste durch eine antifaschistische aktion des brasilianischen fußballspielers ronaldo verhindert werden konnte, deutete sich hier schon düster an, was sich für das jahr 2006 am horizont zusammenbraut: sich von rechts nach links erstreckender national- und reichskriegsflaggen-terror, durch die städte kreuzende hupkarawanen volltrunkener jungmänner und schwarz-rot-golden aufgeschminkte kriegsbemalung können durchaus als drohung für die kommende weltmeisterschaft verstanden werden.

gerade die tatsache, dass die wm 2006 als deutsches heimspiel inszeniert werden wird, lässt das schlimmste befürchten. der deutsche mob wird eine niederlage auf dem spielfeld nicht hinnehmen. der „sieg" wird entweder auf dem platz, in jedem fall aber auf den strassen danach errungen werden.

via sinistra!