Das größte Nationalteam aller Zeiten
Apokalypse Titelgewinn
Auch Deutschland hat seine ganz spezielle Fußballgeschichte. 1954 in Bern, beim ersten deutschen Endspielsieg, sangen mehrere Tausend Deutsche zum ersten Mal nach 1945 die verbotene Strophe "Deutschland, Deutschland über alles!". Der nationale Mythos der Wiederauferstehung einer geschlagenen Nation wurde 2004 gar verfilmt. 1990 in Italien wiederum bewies der damalige Nationaltrainer Franz Beckenbauer nach dem dritten Titelgewinn ganz spezielles, politisches Gespür: "Jetzt kommen noch 16 Millionen Ostdeutsche dazu. Da sind wir auf 10 Jahre unschlagbar", um später weiterzuprotzen: "Tut uns leid für den Rest der Welt." Sportlich lag er falsch.
Und auch wer die Debatten um die eher schlechten Leistungen der deutschen Mannschaft im Vorfeld der kommenden WM beobachtet hat, kann leicht den Eindruck gewinnen, es ginge um eine finale Entscheidung, an deren Ausgang das Schicksal einer ganzen Nation hinge. Anders kann es kaum gedeutet werden, wenn Bundestrainer Jürgen Klinsmann entgegen jeglicher Realität nicht müde wird zu behaupten, dass Deutschland Weltmeister werden würde - etwas anderes ist nun mal nicht vorstellbar - und wenn selbst Bundestagspolitiker sich im nationalen Auftrag in die Belange des DFB einmischen. Klinsmann, dessen Hauptwohnsitz in den USA liegt, wird dies vor allem nach Niederlagen immer wieder zum Vorwurf gemacht. So attackierte der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz den Deutschen Fußball-Bund: "Der DFB hätte sich niemals darauf einlassen dürfen, dass der Bundestrainer ein Mega-Ereignis wie die WM aus Kalifornien betreut." Selbst vor den Sportausschuss des Bundestages sollte Klinsmann geladen werden.
Deutschland einig Fußballland
"Fußball ist nicht nur eine der letzten nationalen Projektionsflächen, sondern auch fester Bestandteil der Populär- und Alltagskultur", heißt es in einem Bericht des Goethe Instituts, welches für die Repräsentation "deutscher Kultur" im Ausland tätig ist. Das Interesse des Instituts am "Volkssport Nr. 1" ergibt sich somit von selbst. Denn spätestens seit dem WM-Sieg 1954 wurde Fußball eine der wichtigsten Projektionsflächen nationaler Identität. Und wenn der deutsche Nationalismus sich ungezwungen bei Auswärtsspielen präsentieren kann, ist das auch ein "Gewinn für das Ansehen Deutschlands in der Welt".Fußball und Gesellschaft stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang, nicht nur weil das Sportereignis im Rahmen der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse stattfindet, sondern auch und gerade weil Fußball Einfluss auf gesellschaftliche Verhältnisse nehmen kann. Als sportliches Ereignis umgibt den Fußball die Sphäre des vermeintlich Unpolitischen. Auf dem Weg ins Stadion können alle politischen Bedenken und Ängste getrost zu Hause gelassen werden und es wundert niemanden, wenn der Fanblock in einem Meer von Deutschlandfahnen versinkt. Denn im Stadion findet der Fan das so lange vermisste deutsche Kollektiv. Alle sind sich endlich wieder einig und unter sich. Und wenn die "deutschen Jungs" unten auf dem Rasen auch noch den erhofften Sieg davontragen, dann kümmert es auch niemanden mehr, wie es außerhalb des Stadions eigentlich aussieht. Denn im Stadion feiern Bundeskanzlerin und das restliche "Volk" gemeinschaftlich ihr Team. Und die Kollektiverfahrung wirkt nach, führt zu einer Zufriedenheit mit den Zuständen und in der Regel dazu, dass die amtierende Bundesregierung wieder gewählt wird.
Dass Fußball sich als nationale Projektionsfläche anbietet, kommt nicht von irgendwoher. Hinter der Mannschaft formiert sich ein Fanblock, der sich während des Spiels kontinuierlich von den anderen Fans abgrenzen muss. Ein konstruiertes Kollektiv, das die Zusammengehörigkeit nur durch die eigene Überhöhung und die gleichzeitige Abwertung der "Anderen" rechtfertigt. Was bleibt, ist die dem Spiel immanente Struktur: "Wir" gegen die "Anderen". Wenn der Gegner im Stadion richtig beleidigt werden soll, wird ihm kurzerhand das "Deutschsein" abgesprochen, frei nach der Logik, dass Nicht-Deutsche weniger wert seien. Eine noch schlimmere Schmach lässt sich zufügen, wenn die "Anderen" als "Juden" bezeichnet werden. Der Gegner wird dabei nicht nur aus dem nationalen Kollektiv ausgeschlossen, sondern schlimmer noch zum Feind aller nationalen Kollektive, zum vaterlandslosen Gesellen schlechthin gestempelt. Und wie mit diesen in Deutschland umgegangen wurde, ist zur Genüge bekannt. Rechtsextreme Äußerungen und antisemitische Zuschreibungen gehören seit den Anfangstagen des Fußballs zum Fanalltag. Sei es in der 2. Liga, wo Dynamo Dresden als "Judenverband" beschimpft wurde oder wenn Bayern München aus der "Gemeinschaft der Deutschen" ausgeschlossen wird: "Bayern gehört zu Österreich..."(Hertha Fangesang).
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